Der Antizionist Der Kampf gegen die Diskriminierung - Interview mit Israel Shahak in: Frankfurter Rundschau vom 29. 4. 1998. Israel Shahak, Professor emeritus für Biochemie an der Hebräischen Universität von Jerusalem, kam 1945 nach Palästina. Seine Kindheit verbrachte er im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Der Humanist, der seit Jahrzehnten gegen Rassismus und gegen jede Art der Diskriminierung kämft, ist Vorsitzender der Liga für Menschenrechte in Israel. Er ist Autor vielbeachteter Bücher: "Jewish History, Jewish Religion. The Weight of 3000 Years", London 1995; "Open Secrets", London 1997; beide sind im Pluto Press Verlag erscheinen. Mit Shahak sprach Ludwig Watzal. Herr Shahak, in Ihren Veröffentlichungen waren Sie immer sehr kritisch gegenüber der zionistischen Ideologie. Warum? Israel Shahak: Ich beginne immer mit einer jüdischen Kritik des Zionismus bevor ich zu dem Schaden komme, den er gegenüber den Palästinensern anrichtet. Der Zionismus hätte auch dann kritisiert werden müssen, wenn ein jüdischer Staat auf einer verlassenen Insel gegründet worden wäre, ohne jemanden zu verletzen. Der Grund dafür ist, daß ein Staat, der auf der Idee der Reinheit der Religion, der Rasse, der Nationalität beruht, kritisiert werden sollte. Das Ziel des Zionismus ist, wie die Zionisten selber sagen, einen reinen jüdischen Stat zu gründen. Dieses Ziel wurde insbesondere durch den Zionismus der Arbeitspartei verfolgt. Ich glaube, daß ein Staat offen sein soll für eine gewisse Anzahl von Menschen, die verfolgt und unterdrückt werden und Asyl suchen. Israel sollte nicht rein jüdisch sein und auch nicht-jüdische Imigranten aufnehmen. Glauben Sie, daß der Zionismus sein Ziel erreicht hat, einen normalen Nationalstaat für das jüdische Volk zu schaffen? Ja und Nein. Ich glaube, das Ziel der Staatsgründung ist für die israelischen Juden erreicht worden. Im Laufe der Jahre unterschieden sich die Israelis aber von den anderen Juden. Die israelischen Juden sind eine eigenständige Nation geworden. Wenn Israelis in die USA auswandern, bleiben sie getrennt von der amerikanisch-jüdischen Gemeinschaft. Sie mögen die Amerikaner lieber als die amerikanischen Juden. Sie verlangen von den Juden, die nach Israel einwandern, daß sie Israelis werden, daß sie israelische Gewohnheiten annehmen. Diejenigen, die sich nicht dieser Forderung beugen, werden in einer Art bedacht, die vergleichbar ist mit der deutschen Abwehrhaltung gegenüber Deutschen, die aus dem Ausland nach Deutschland zurückkehren. Somit ist kein jüdischer, sondern ein israelisch-jüdischer Staat geschaffen worden. Mögen Sie den sogenannten Postzionismus? Nein. Ich bin Antizionist. Sind die Postzionisten nicht auch Antizionisten? Es ist eine vage Bewegung. Auch die ersten Zionisten waren Mitglieder einer schlechten Bewegung, weil sie Land kauften mit der Intention, daß es nur Juden gehören dürfe, und sie kündigten sofort das rassistische Prinzip der "jüdischen Arbeit" an. Das heißt, daß ein jüdischer Arbeitgeber nur jüdische Arbeiter einstellen sollte. Das ist purer Rassismus. Stellen nicht die Postzionisten viele zionistische Geschichtsmythen in Frage? Dies gilt auch für den Zionismus. Wir haben eine sehr positive Bewegung von "neuen Historikern", die alles, die gesamte Geschichte, in Frage stellen nicht nur die letzten hundert Jahre. Dieses Verhalten ist nicht nur beschränkt auf den Postzionismus, sondern gilt für große Bereiche der israelischen Gesellschaft. Es gibt viele Zionisten, die das gleiche tun. Der Historiker Benni Morris ist ein hingebungsvoller Zionist und hat Bücher geschrieben, die die Geschichte gewisser Perioden verändert haben. Der Historiker Moshe Zimmermann argumentiert, daß die Periode des klassischen Zionismus mit der Ermordung des Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin zu Ende gegangen sei und daß die Feinde des Zionismus, die ethnozentrische Variante des Zionismus, die Macht übernommen habe. Diese Vertreter seien die wirklichen Postzionisten. Wie stehen Sie zu dieser Interpretation? Dies ist neu für mich. Er hat diese These wahrscheinlich in Deutschland vorgetragen und nicht in Israel. Ich teile nicht seine Meinung. Der klassische Zionismus existiert weiter. Er hat mächtige Feinde, die nicht-messianischen religiösen Parteien. Die Shas-Partei hat gegenüber der Nationalreligiösen-Partei den Vorteil, daß sie den Zionismus ablehnt, weil der Zionismus gegen die jüdische Religion in ihrer ursprünglichen Form verstoße. In diesem Jahr wird Israel 50 Jahre als. Was wünschen Sie sich für Ihr Land? Eine Entzionisierung. Die Beseitigung von Apartheid und Diskriminierung. Seit Jahren sage ich, daß Israel ein Apartheid-Staat ist und Nicht-Juden diskriminiert. Ich wünsche mir, daß unser Land diese Art der Diskriminierung beendet. Ich bin kein Utopist. Ich meine die legale Diskriminierung und die offizielle Unterdrückung. Dies wäre eine gute Grundlage für einen "kalten Frieden" im Nahen Osten. Ich erwarte keinen "warmen Frieden" für die Region. Ich bin für einen "kalten Frieden" wie er zwischen Griechenland und Mazedonien existiert. Beide mögen sich nicht, führen aber auch keinen Krieg gegeneinander.