Von der zerstörerischen Kraft des Ariel Scharon NAHOST Baruch Kimmerling sagt Israels Ministerpräsidenten den Willen zur Vertreibung der Palästinenser nach Von Ludwig Watzal Die Entwicklung im Nahen Osten scheint durch die diversen Abkommen zwischen führenden Persönlichkeiten auf israelischer und palästinensischer Seite wieder Anlass zur Hoffnung zu geben. Ob diese Vereinbarungen jedoch mit Ministerpräsident Ariel Scharon umsetzbar sein werden, darf bezweifelt werden, da man ihre Initiatoren heftigst angegriffen hat. "Unter der Führung von Ariel Scharon wurde Israel zu einer zerstörerischen Kraft, nicht nur für die Umgebung, sondern auch sich selbst gegenüber, denn es kennt nur noch ein innen- wie außenpolitisches Ziel: den ,Politizid` am Volk Palästinas", so die zentrale These des aufrüttelnden Buches von Baruch Kimmerling, Professor für Soziologie an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Geboren in Rumänien, kam der Autor 1952 nach Israel. In der Einführung baut Kimmerling gegenüber möglichen Angriffen vor: Er sei israelischer Patriot und habe dieses Buch "voller Schmerz und Trauer" verfasst. In drei Kapiteln unterzieht Kimmerling die israelische Politik einer sehr kritischen, aber überaus realistischen Analyse. Zentraler Fokus ist Ministerpräsident Scharon. Der Autor lässt seine Brutalität und Rücksichtslosigkeit, aber auch seine Verschlagenheit und politisch-strategische Klugheit und Weitsicht für den Leser nachvollziehbar erscheinen. Scharons Politik sei die eines fortwährenden "Politizids", dessen Ziel es ist, "das Ende der Existenz des palästinensischen Volkes als soziale, politische und wirtschaftliche Größe" herbeizuführen. Der erste Versuch habe 1948 mit der Vertreibung der Palästinenser im Rahmen der Staatsgründung begonnen, seine Fortsetzung fand er mit dem Massaker von Sabra und Shatila 1982 im Libanon und ist seit der Regierungsübernahme von Scharon in sein finales Stadium eingetreten. Seine Politik werde das Wesen der israelischen Gesellschaft zerstören und die moralische Basis des jüdischen Staates im Nahen Osten untergraben. Die jetzt gebildete Regierung weise einige Minister auf, die offen für einen "Transfer" oder ethnische Säuberung der Palästinenser plädieren. Was vor Scharon als undenkbar galt, erscheine als ein legitimer Lösungsansatz für die demographischen Probleme Israels. Hat der Autor hier nicht völlig grundlos Alarm geschlagen? Für Kimmerling wurde Israel "auf den Ruinen einer anderen Kultur aufgebaut, die dem Politizid und einer teilweisen ethnischen Säuberung zum Opfer fiel, auch wenn es dem neuen Staat Israel nicht gelang, die rivalisierende Kultur der ,Eingeborenen` auszulöschen". Scharon und seine Ideologie seien Ausdruck einer Krise, die sich seit dem Beginn der Besatzung aufgebaut habe. Die Ausführungen Kimmerlings vermitteln ein schonungsloses Israel-Bild, das die deutschen Wunschvorstellungen von diesem Land nur als störend empfinden werden. Vielleicht sind einige Analysen überzeichnet. Ob es den Meinungsbildungsprozess der deutschen Öffentlichkeit beeinflussen wird, bleibt abzuwarten. Diese Buch gehört zu den wichtigsten, die in Deutschland über Israel veröffentlicht worden sind; es ist überaus empfehlenswert. Baruch Kimmerling: Politizid. Ariel Sharons Verbrechen gegen das palästinensische Volk. Aus dem Englischen von Dirk Oetzmann und Horst M. Langer, Diederichs, München 2003. 244 Seiten, 19,95 Euro.