"Tod Arafats wäre ein politischer Fehler" Nahost-Experte Watzal äußert sich gegenüber heute.online zu den jüngsten Entwicklungen in Nahost Nur eine militärische Intervention der internationalen Staatengemeinschaft könne die Gewaltspirale im Nahen Osten noch stoppen, glaubt Ludwig Watzal. Der Nahost-Experte plädiert im heute.online-Interview für einen radikalen Kurswechsel der Politik der USA und der EU. Präsident Jassir Arafat sei der Einzige, der in solchen Verhandlungen für die Palästinenser sprechen könne. von Nadine Bilke, 03.12.2001 heute.online: Am Wochenende starben 26 Israelis bei Terroranschlägen. Am Montag feuerte die israelische Armee Raketen auf Arafats Hauptquartier. Wie ist diese Gewaltspirale noch zu stoppen? Watzal: Ich glaube, dass beide verfeindeten Parteien von sich aus nicht mehr in der Lage sind, diese Gewaltspirale zu stoppen. Ich habe vor einigen Wochen schon einmal dafür plädiert, dass die internationale Staatengemeinschaft eine militärische Intervention in Israel und Palästina vollzieht, um auf der einen Seite die Palästinenser vor der Gewalt der israelischen Armee zu schützen und auf der anderen Seite zu verhindern, dass weiter Terroristen in Israel einsickern und unschuldige Personen durch Bombenterror - wie am Wochenende geschehen - ums Leben kommen. heute.online: Könnten Vermittlungen der USA noch Erfolg haben in dieser Situation? "Die Fortsetzung des so genannten Friedensprozesses, der mit Frieden wenig zu tun hatte,wird keine Lösung mehr in diese verfahrene Situation bringen." Watzal: Ich bin sehr skeptisch. Diese Vermittlungen werden nichts bringen, wie die anderen Vermittlungsbemühungen auch. Ich glaube, dass die Amerikaner wesentlich stärker gefordert sind, dahingehend, nicht die Konzepte von Tennet und Mitchell umzusetzen, sondern einen kompletten Neuanfang zu wagen. Ich hoffe, dass es noch nicht zu spät ist, mit den Europäern zusammen massiv in den Konflikt einzugreifen und einen ganz neuen Aussöhnungsprozess in Form von einer internationalen Konferenz wie 1991 in Madrid zu starten. Die Fortsetzung des so genannten Friedensprozesses, der mit Frieden wenig zu tun hatte, wird keine Lösung mehr in diese verfahrene Situation bringen. heute.online: Die israelische Regierung scheint Arafat aus dem Amt treiben oder gar töten zu wollen. Gibt es eine Alternative zu Arafat? Gibt es jemanden, der für die Palästinenser sprechen könnte? Watzal: Ich halte das für einen politischen Fehler, wenn man jetzt Arafat entweder umbringt oder ihn wieder ins Exil treibt. Aber darüber ist innerhalb der israelischen politischen Elite schon viel diskutiert worden. Wenn das passieren würde, hätten sich die Extremisten um Lieberman und Scharon durchgesetzt. Aber das wäre ein großer Fehler, weil Arafat das nationale Symbol der Palästinenser ist. Er steht für den Befreiungskampf der Palästinenser per se, der meines Erachtens gerechtfertigt ist: Nicht der Einsatz der Mittel, aber die Schaffung eines unabhängigen Palästinenser-Staates ist ein berechtigtes Anliegen. Nicht der Einsatz der Mittel, aber die Schaffung eines unabhängigen Palästinenser-Staates ist ein berechtigtes Anliegen. Und ich glaube, die israelische politische Elite wird sich täuschen, wenn sie meint, wie Scharon es vor hat, mit einzelnen Geheimdienstchefs besser auskommen zu können als mit Arafat. Das kann dazu führen, dass die Region vollkommen im Chaos versinkt und Israel wieder die ganzen Gebiete besetzen und die Palästinenser wieder durch ein brutales Militär-Regime beherrschen muss, wie es das im Augenblick auch tut. Das halte ich für einen Irrweg. Und ich hoffe, Bush hat Scharon keine freie Hand gegeben, dies umzusetzen. heute.online: Wie schätzen Sie die Stimmung in der israelischen Bevölkerung ein? Wie weit wird diese Politik unterstützt? Watzal: Scharon genießt eine sehr hohe Popularität. Und ich kann gut nachvollziehen, dass sich die israelische Gesellschaft mehr denn je nach Sicherheit sehnt. Nach diesen Terroranschlägen wäre jede Gesellschaft hochgradig emotionalisiert und auch zu wirklich harten Maßnahmen entschlossen. Ich glaube, das ist nicht nur typisch für Israel. Von daher hat Scharon für seine harten Maßnahmen eine große Unterstützung. Ich halte sie trotzdem nicht für geeignet. Ich würde eher dafür plädieren, dass sich die Peres-Linie stärker durchsetzt, die trotz dieser schlimmen Anschläge weiter auf Verhandlungen setzt. Aber dafür ist in Israel im Augenblick die Zeit nicht reif. Und die Hardliner haben leider das Sagen. Zur Person Dr. Ludwig Watzal ist Lehrbeauftragter an der Universität Bonn und freier Journalist. Er hat mehrere Bücher zum Nahost-Konflikt veröffentlicht. In seinem jüngsten Werk "Feinde Des Friedens" analysiert er die Geschichte des Konflikts seit Ende des 19. Jahrhunderts.